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warum wir dieses programm singen


wenn wir im kontakt mit überlebenden des "holocaust" (ein modernes wort der verharmlosung) das vorhaben erwähnten, diese jiddischen lieder zu sammeln und zu singen, kam mehrfach die frage: "warum sammelt und singt ihr nicht deutsche lieder? in den deutschen kz's sind auch deutsche ermordet worden, die haben auch gesungen". die antwort auf diese frage bleiben wir schuldig. das sammeln und singen deutscher lieder ist uns leider vergangen: so wird erst deutlich, was der deutsche faschismus angerichtet hat.
trotzdem: warum singen wir deutsche nicht-juden jiddische lieder?

wir sind vier, deswegen muß es mindestens vier verschiedene anworten geben, aber eher mehr: denn diese frage gilt zwar der person, führt aber auch zu fragen jenseits der individuellen biografie.
wir alle sind kinder von kindern von eltern. unsere väter und mütter, großväter und großmütter haben in dieser zeit gelebt, von der wir singen, auf täter- und opferseite. dabei geht es uns weder um "kollektivschuld" noch um die "gnade der späten geburt": diese beiden pole führen beide in sackgassen. in der einen landen wir an einer wand aus schuld, lähmung und depression, in der andern stehen wir vor einem neuen "frisch-fromm-fröhlich-frei".
"endlösung", "selektion", "rampe", "vergasen", "flächendeckend" -, das ist die sprache, der wir begegnen. es ist die sprache des grundsätzlichen und machbaren. man mache uns nicht vor, der einzelne könne ohne seine kulturelle geschichte leben. wo kommen wir her? und wo gehen wir hin? kann man wohingehn, ohne zu wissen, woher man kommt? unsere eltern haben ein ganzen volk, seine kultur und jeden einzelnen systematisch vernichtet, zerstört, ermordet: was machen wir damit, wenn mit "eltern" nicht die leiblichen eltern gemeint sind sondern die gemeinsame geschichte in dieser sprache, in diesem land?
eine fülle von fakten und daten über den sogenannten "holocaust" liegen vor: zahlen, unglaubliche, unbegreifliche zahlen. und bilder, bilder über bilder. hinter diesen "megatoten" (eine wortschöpfung der heutigen, atomaren zeit) geht etwas verloren. zahlen und bilder können auch töten.
nach den nürnberger prozessen und der schnell-gründlichen "entnazifizierung" kam das "wirtschaftswunder" mit seiner "unfähigkeit zu trauern" (a. mitscherlich); die achtundsechziger-revolte erst zerrte ans licht, was geschehen war: die bilder der leichenberge mußten sein, damals. im satten wirtschaftswunderleben mußte der millionenfache tod gezeigt werden. auf diesen gräbern wurden die banken gebaut, die unser geld verwalten.
aber geschah so nicht eine erneute vernichtung? mit bestem willen wurde erinnert -an den tod. soll man einem 15-jährigen in den siebziger jahren übelnehmen, wenn er sagte: "ich will davon nichts mehr wissen"? die achtundsechziger-lehrer haben ihm nur den tod gezeigt. mit bestem willen wurde erinnert an den tod, es ging ja um die unfähigkeit zu trauern.
welche lebensart aber wurde damals so systematisch zerstört? welches leben wurde in der erinnerung an den tod vergessen? welcher tod liegt im vergessen? und welche "zweite schuld" (r. giordano)?
um spurensuche also soll es in diesem programm gehen und spurensicherung eines lebens "im abgrund der welt".
wer von uns "nachgeborenen" als junger mensch auschwitz, birkenau oder majdanek gesehen hat und dies alles wirklich "sehen" konnte, bleibt sein leben lang in frage gestellt zu dem, wozu er im nachkriegsdeutschland erzogen wurde. die unfähigkeit zu trauern pflanzt sich ja fort von einer generation zur nächsten und es stellt sich stellt die frage nach der "banalität des bösen" (h.ahrendt). welchen formen eines latenten antisemitismus erliegen wir? wie bewältigen wir anscheinend "aufgeklärten" das bedrohlich fremde?
einmal auf die spur gebracht, wird uns klar, daß unsere art des denkens-im-widerspruch auch jiddische ursprünge hat. aus vielen jüdischen quellen sprudelt der geist, dem wir uns verpflichtet oder vertraut fühlen, quer durch alle formen seiner äußerung, sei es philosophie oder kunst, wissenschaft oder politik. marx und freud, hannah arendt und rosa luxemburg, adorno und fromm, celan und heine, schönberg und ligety, kafka, bloch, einstein, jungk, anders... eine klassische reihe, vielzitiert und unendlich. in dieser qualität des konsequenten utopischen und humanen denkens haben wir unsere traditionen definiert.
was ist jüdisch? ein rassemerkmal? eine religionszugehörigkeit? eine art des denkens? oder, wie es sartre formulierte: jüdisch, das ist immer das andere?

was jenseits dieser intellektuellen anstrengungen auch noch bleibt, ist die musik. eine "musik unterwegs", gespeist aus hundert verschiedenen quellen, die uns musiker einlädt, dabei zu sein. hier liegt die klage und das seufzen ganz dicht bei der wendung ins heitere, immer gemischt, wie das leben. diese jiddischen weisen sprechen uns an, eine musik des lebendigen widerspruchs. hier darf im sound der klage auch ein versprechen wohnen.
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